Kennen Sie den schon?

„Im Pfandstall konnten wir Esel uns auch ein paar Witze erzählen.“

Brilon. Festt age sind auch für uns Esel etwas ganz Besonderes. Mit gestriegeltem Fell und geputzten Hufen sind wir gerne dabei, wenn das Trömmelchen geht. Dieses Mal ging es nach Brilon-Wald. Gleich zwei Feste wurden gefeiert. Dort war vor 150 Jahren die erste Lokomotive fauchend aus dem Tunnel gekrochen. Den Leuten waren die Stahlrösser nicht ganz geheuer. Würden die Kühe keine Milch mehr geben, wenn solch ein Ungetüm mit vielen Wagen durch die Landschaft stampft e? Alles nur Märchen! Uns Eseln nahmen sie viel Arbeit ab. Das Hoppecketal erwachte aus dem Dornröschenschlaf. Schon vor 175 Jahren gab es dort die Lohmühle. Das könnten meine Eselvorfahren bestätigen. Sie mussten die Lohe, die geschälte Eichenrinde, aus den Wäldern zum Lohhännes schleppen. Die Lohe wurde zum Gerben von Fellen benötigt. Vor
120 Jahren tauchte der Name Brilon Wald das erste Mal auf. Seit 1901 verkehrten Personenzüge zwischen den Bahnhöfen Brilon und Brilon Wald. Dadurch wurden unsere großen Verwandten, die Pferde, arbeitslos. Die vierbeinigen Rosse kamen gegen die Dampfrosse mit den Eisenrädern nicht mehr an. Der Postkutschendienst wurde eingestellt. Alles war nicht so einfach: Der Bahnhof Brilon Wald wird heute noch ohne Bindestrich geschrieben, das Dorf hat aber solch einen Bindestrich. Das soll ein normaler Esel verstehen. Wie der Name verrät, spielten die großen Wälder immer eine besondere Rolle. Im Schellhorn, Hammerkopf und Drais residierten die Köhler. Von ihnen wurden wir mit unseren Eseltreibern immer mit großem Getöse begrüßt. Weil die Köhler niggelig waren und wissen wollten, was sich in der Stadt und den Dörfern ereignet hatte, konnten wir Esel erst einmal eine Ruhepause einlegen. Der Hinweg war nicht so beschwerlich. Auf unseren Rücken brachten wir den Männern fett en Speck und ein paar Kanten Brot mit. Sie waren zufrieden, mehr brauchten sie nicht. Der Rückweg war beschwerlicher.
Die Köhler packten uns große Bündel mit Holzkohle auf die Rücken. Die mussten wir zu den Rennöfen transportieren. Diese waren meist auf Bergkuppen errichtet, damit der Wind kräftig die Feuer anblasen konnte. Lass das mal die Esel machen, die sind auch auf steilen Wegen tritt sicher, hieß es. Bei den Rennöfen waren die Eisenschmelzer am Werke. Ihre Rennöfen fütterten sie mit Eisenstein, Holzkohle und etwas Kalkstein. Wenn die Eisenschlacke aus dem Ofen in die Herdgrube rann, kühlte sie danach ab. Für uns ging die Plackerei weiter. Ihr könnt Euch vorstellen, wie schwer Eisenschlacke ist. Zum Glück mussten wir sie nur bis zum nächsten Weg schleppen. Dort warteten schon die Karren auf ihre Fracht. Im Wald gingen aber auch andere Gestalten ihrer „Arbeit“ nach. Wilddiebe und Holzfrevler scheuten das Tageslicht, nachts waren sie umso aktiver. Häufig waren wir die Gehilfen der Hehler. Wenn die Flurschützen oder die Förster, die dort angesiedelt wurden, unsere Eseltreiber erwischten, bekamen diese eine saftige Strafe aufgebrummt. Uns Eseln war das recht. Wir konnten im „Pfandstall“ bei dem Ledriker Tor ein paar Tage „Urlaub“ machen, die Hufe hochlegen, das Fell putzen und uns ausruhen, bis unser Eseltreiber seine Strafe bezahlt hatte. Es ist doch klar, dass die Eseltreiber keinen guten Ruf hatten. Im Pfandstall konnten wir Esel uns auch ein paar Witze erzählen. Die hatten wir mit unseren langen Ohren aufgeschnappt. Kennt ihr z.B. diesen: In Brilon kauft ein Reisender eine Eisenbahnfahrkarte für die Zugfahrt nach Peking. Der Bahnbeamte wälzt die dicksten Kursbücher, bis er die Strecke über Wabern, Berlin, Moskau und dann mit der Transsibirischen Eisenbahn über Irkutsk bis kurz vor Wladiwostok zum Abzweig nach Peking gefunden hat. Nach mehreren Stunden kann er die Fahrkarte in Empfang nehmen. Für die Rückfahrt kauft sich der Reisende in Peking eine Fahrkarte. Er hatte sich schon auf das Schlimmste vorbereitet. Der chinesische Bahnbeamte fragt: „Peking – Brilon Stadt oder Peking Brilon Wald“? Dann wiehern wir Esel und trampeln mit den Hufen.

geschrieben von Winfried Dickel, im August 2022