Kommt Zeit, kommt Rat!

Wie funktioniert Demokratie im bunten Briloner Parlament? Von Sonja Funke

„Unser Rat ist bunter als je zuvor,
aber er trägt genau wie seine Vorgänger
Verantwortung für 26.500 Bürger.“

Brilon.
Ob nun das Feuerwehrauto für das kleine Dorf gekauft oder ein ganz neues Schulgebäude gebaut werden soll.
Wie der Wald künftig aussehen wird und ob der neue Discounter kommen darf. Dies und viel mehr entscheiden Briloner Bürger mit – als Kommunalpolitiker.
Erst in den politischen Ausschüssen, später im Rat. Nirgendwo ist es so einfach mitzuwirken und wirklich Dinge zu erreichen, wie in der Kommunalpolitik.
Nirgendwo ist man aber auch so nah dran an seinen Bürgern und bekommt Lob und Kritik direkt ins Gesicht gesprochen.
Gutes Beispiel: die konstituierende fast sieben (!) Stunden dauernde November-Sitzung des Rates der Stadt Brilon im neuen Briloner Kino, bei der
neben dem Bürgermeister auch die Ratsvertreter und die anwesenden 16 Ortsvorsteher vereidigt und ins Amt eingeführt wurden.

Die Sitzung selbst war schon ein Statement für den Wirtschaftsstandort – „ein Zeichen der Wertschätzung“
für das Kino, wie es Bürgermeister Dr. Christof Bartsch (SPD) ausdrückte. Diesem Filmtheater selbst hatten Ausschüsse und der Rat mit ihren Beschlüssen
den Weg geebnet. Und eines dürfen Kommunalpolitiker: parteiisch sein für ihre Stadt, für ihren Standort.

 

Die politischen Verhältnisse
Bis es zu solchen Entscheidungen kommt, ist der Weg gerade in Brilon des Öfteren hart. Die Stadt hat eine streitbare Opposition, die Partei des Bürgermeisters
keine Mehrheit und seit der letzten Wahl ist mit den Grünen eine weitere Fraktion hinzugekommen.
Und so bat der alte und neue Bürgermeister, Dr. Christof Bartsch darum: „kultiviert“ zu streiten, an der Sache orientiert.
Der Rat sei bunter als je zuvor, aber er trage genau wie seine Vorgänger Verantwortung für 26.500 Bürger.
Ganz deutlich wurde in dieser Sitzung: Legt die eine Fraktion den Schwerpunkt mehr auf die Wirtschaft, setzt die andere auf Umweltaspekte und der
nächsten geht es vor allem um Soziales. Strategische Entscheidungen wollen getroffen werden,
aber dies immer mit Blick auf die Mehrheiten. Will heißen: Was ist überhaupt drin, wenn man „drin“ ist und keine Mehrheit hat?

 

Die Ausschüsse
Hier erhoffen sich die Grünen im Strukturausschuss wohl den bestmöglichen Einfluss bezüglich ihrer Themen.
Es ist das einzige Gremium, in dem mit Stefan Scharfenbaum ein Vertreter der kleineren Fraktionen den Vorsitz hat.
Nach genau fest gelegten Zugriffs-Regeln konnten sich die Fraktionen ihre Vorsitze sichern,
die kleineren Parteien – FDP, BBL, Grüne und Linke – hatten sich zusammengetan und kamen an vierter Stelle zum Zuge.
„Wir ziehen den Bauausschuss“, eröffnete Eberhard Fisch für die CDU den Zugriffsreigen.
So eine Sitzung wird von unterschiedlichen Personen geprägt. Hier sind zum einen die alten Hasen im Politikgeschäft,
die schon wissen, was demokratisch gut geht, was andererseits aber einfach nur lähmt. Und dort sitzen jene, die ganz unbedarft frischen Wind reinbringen
wollen, aber nicht wissen, welche Verfahren wie aufhalten. So entwickelte sich die November-Sitzung eben
demokratisch vollends legitim aber zeitlich sehr unangenehm, als es schließlich darum ging, die Mitglieder der Ausschüsse zu benennen.
Die kleinen Fraktionen konnten sich im Vorfeld nicht auf einen so genannten einheitlichen Wahlvorschlag verständigen.
Zudem verlangte Prof. Dr. Dr. Alexander Prange (FDP) eine geheime Abstimmung über die Besetzung jedes Ausschusses.
Ein zeitlich an einem Abend nicht umsetzbares Unterfangen, wie sich bereits nach der ersten von neun Abstimmungen, die über eine
halbe Stunde dauerte, herausstellte. Bei den folgenden Abstimmungen ließ sich der FDP-Politiker überzeugen,
den Antrag nicht mehr zu stellen. Allerdings geriet die Ausschussbesetzung weiter zum Geschacher um die Sitze,
die nach dem D’Hondt-Verfahren verteilt werden.
Es gab ständig wechselnde Abstimmungsverhältnisse und ein eigentlich abgemeldetes SPD-Ratsmitglied
kam unter vielen Umständen doch noch hinzu, um persönlich mit abstimmen zu können.

Das Schicksal der Kleinen: Nur wenig ging durch, es gab viele abgelehnte Anträge.
So war es etwa mit dem Vorschlag, sachkundige Bürger könnten doch Ratsmitglieder in Ausschüssen vertreten.
„Die vorgeschlagenen Neuerungen kriegt man organisatorisch irgendwann nicht mehr umgesetzt“, so die alten Politik-Hasen.
Außerdem sei gesetzlich festgelegt, dass im Ausschuss immer mehr direkt vom Volk und nicht vom Rat gewählte Vertreter – sprich Ratsmitglieder – sitzen müssten.
Mehrmals in der Sitzung war ein Blick in die Gemeindeordnung nötig. Auch diese sollten Kommunalpolitiker
sehr gut kennen, wenn sie Vorschläge unterbreiten.

 

Bürgermeister-Stellvertreter und Ratsvertreter in einer Kleinstadt
Niklas Frigger (CDU) und Ariane Drilling (SPD) als stell-vertretende Bürgermeister lösen Ludger Böddecker (SPD), Holger Borkamp (CDU) und Christiana Kretzschmar (BBL) ab.
Wer sich mit welcher Geschichte hinter diesen und anderen Ratspersonen verbirgt, das weiß in einer Kleinstadt nahezu jeder.
Sicher freuten sich viele mit Niklas Frigger, der sich als stellvertretender Bürger-meister mindestens einen kleinen Traum erfüllen konnte,
nachdem er schon ein passables Ergebnis als Kandidat im Wahlkampf hingelegt hatte.
Freud und Leid liegen hier greifbar nah zusammen. Stefan Scharfenbaum, im Wahlkampf 2014 bereits ein ernstzunehmender Anwärter auf den Bürgermeister-posten,
sitzt nun für Bündnis 90/Die Grünen im Rat. In der gleichen Sitzung gedachte man seines Vaters als verstorbenes CDU-Ratsmitglied.
Und da wäre Reinhard Prange, der als Ältester kurzfristig die Sitzungsleitung übernahm, um Christof Bartsch ins Amt einzuführen.
Nicht nur, dass es im Wahlkampf einiges parteiinternes Gerangel um seine Bewerbung gab – mit zum Glück gutem Ausgang.
Er ist allein für Die Linke und ohne Fraktionsstatus dabei. Gerne sorgte er in der Vergangenheit für Aufsehen erregende Statements, indem er mal mit einer Kippa,
mal mit einem Elektroroller in der Sitzung erschien.

Kernarbeit bei der Verwaltung
Wenn es darum geht, politischen Gremien Vorschläge zu machen, wie ein Vorhaben aussehen könnte und schließlich Beschlüsse umzusetzen, ist die Stadtverwaltung gefragt.
Neue wie alte Verwaltungschefs und -Chefinnen stellten sich dem Rat kurz vor, zum Beispiel Karin Wigge, Leiterin des Fachbereiches III (u.a. Sicherheit und Ordnung, Soziales).
Flüchtlinge, Krankenhaus, Wald-Kalamitäten, Corona-Pandemie… die letzte Wahlperiode habe Teile der Verwaltung ganz besonders belastet,
betonte Dr. Bartsch. Er dankte allen Mitarbeitern für ihr Durchhaltevermögengen.
Und: In den nächsten Jahren wird es nicht weniger spannend und herausfordernd.