„Wartet nur, wenn der Nikolaus kommt…!“

„Dachböden sind oftmals wahre Fundgruben“ - Winfried Dickel findet Fotos von Hubertas Eselvorfahren

Brilon. Die Welt steht irgendwie auf dem Kopf. Wir sind es ja gewohnt, dass uns die Eseltreiber im Eselskamp einsperren. In diesem Jahr hatten wir unseren besonderen Spaß, weil unsere Eseltreiber über Silvester selbst zu Hause bleiben mussten. Ansammlungen von mehr als zehn Eseltreibern auf öffentlichen Plätzen waren verboten. Besonders sauer waren manche Zweibeiner, weil sie nicht nach alter Väter Sitte „canonieren“ und böllern durften. Für uns Esel, aber auch für andere Tiere, war das ganz angenehm. Wir mussten nicht zwischen Knallfröschen hin und her springen und aufpassen, dass uns nicht das Fell verbrannte. Unsere empfindlichen Ohren mussten wir nicht mit Stroh verstopfen. Wir konnten die Hufe stillhalten und uns pflegen. Aber auch einige Eseltreiber waren froh über die verordnete Ruhe. So konnten sie unsere Stellvertreter aus Gips oder Holz aus den Krippen in den Wohnungen und Kirchen mit Maria und Josef und dem Jesuskind in Seelenruhe in kleine Schächtelchen verpacken, wie es ihre Eltern und Großeltern früher auch getan hatten, und auf den Dachböden für einige Monate verschwinden lassen. Solche Dachböden sind oftmals wahre Fundgruben. So entdeckte mein Eseltreiber Zigarrenschachteln mit alten Fotos. Alles war durcheinander, nichts war geordnet. Die Kisten kamen jetzt in das Wohnzimmer. An langen Abenden wurden die Fotografien geordnet.

Da fand sich z.B. ein Foto von einem unserer Vorfahren. Er trug den Nikolaus durch die Stadt. Es war der stadtbekannte Schneidermeister Stuhldreher, der sich jährlich als St. Martin und Nikolaus zur Verfügung stellte. Der Esel wurde von einem Engel geführt. Fünf dunkle Knechtruprechtsgestalten folgten ihm. Sie sollten den Kindern Angst einflößen. „Wartet nur, wenn der Nikolaus kommt“, hieß es. Dieser hatte nämlich „im Himmel“ die guten und die schlechten Taten in seinem goldenen Himmelsbuch aufgeschrieben. Die unheimlichen Gestalten trugen Säcke auf den Rücken. Darin konnten böse Kinder verschwinden. Es gab kein Entrinnen. Artige Kinder konnten sich auf Geschenke freuen. Dafür zogen die dunklen Gestalten einen mit Geschenken beladenen Handwagen hinter sich her.

Bald eröffnet der Briloner Heimatbund-Semper Idem „Hubertas Briloner Eselschule“. Die drei Esel Jack, Gustav und Fridolin stehen mit ihren Betreuerinnen Magdalena, Doris, Loni, Marion und Hiltrud schon in den Startlöchern. Erst werden jedoch wieder zum Weihnachtsfest die Schachteln mit Ochs, Esel, Maria, Josef und dem Jesuskind für die Krippe vom Dachboden geholt.

 

 

geschrieben von Winfried Dickel, im November 2022