„Das Ehrenamt lief schon immer parallel.“
Mit Winfried Dickel vom Schloss Bellevue zu seinem Lieblingsort Haus Hövener.
Brilon. Es spricht für sich, dass Winfried Dickel, als ihm die Reporterin für ihr Porträt einen Lieblingsort vorschlägt, gleich das Haus Hövener in den Raum wirft. Und dass er dann mit seinem Wagen vorfährt, der im Kennzeichen ein „BC“ für Briloner Chronik trägt. Als einer von vier Bürgern NRWs war er Anfang des Jahres Gast des Bundespräsidenten. Dem Briloner Heimatfreund geht es nie um sich, er brennt für seine Stadt mit ihren Dörfern und ihrer Geschichte. Darum erzählen wir seine persönliche Geschichte anhand der Lieblingsplätze im ehemaligen Unternehmerhaus und heutigen Museum am Markt und landen als erstes: im Treppenhaus.
Ganz genau befinden wir uns auf einem Absatz in Richtung Obergeschoss, wo ein großer hölzerner Stuhl zum Nachhören steht, dahinter Fotos von Wilhelmine Hövener, letzte Bewohnerin des Hauses. Auf Knopfdruck erhält sie das Wort. „Dieser Ort ist etwas Besonders, weil Gäste nur bis hierhin durften. Alles wurde hier besprochen. Niemand kam in die Privaträume, es sei denn, er musste dringend etwas erledigen, wie zum Beispiel Handwerker. Sie hat schon 1927 Mathematik, Physik und Erdkunde studiert, das war damals etwas ganz Besonderes für eine Frau“, sagt Winfried über Wilhelmine, die man im Museum aus Respekt schon lange nicht mehr – wie einst im Volksmund – Minna nennt.
Wobei wir beim Thema Frau und Erfolgsgarant im Hintergrund vieler Männer wären: Mit seiner besseren Hälfte, Egilde Dickel, die Jahrzehnte lang an der Heinrich- Lübke-Schule unterrichtete, fuhr der 75-Jährige im Januar nach Berlin. Als einer von 70 Ehrengästen aus ganz Deutschland war er zum Neujahrsempfang des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und seiner Ehefrau Elke Büdenbender im Amtssitz Schloss Bellevue eingeladen. Weitere 150 Vertreterinnen und Vertreter der Medien, Kirchen, Sicherheitsorgane, herausgehobener Bundesbehörden, von Wirtschaft, Gewerkschaften und Berufsorganisationen gehörten zu den Gästen. Auch das gesamte Bundeskabinett war bis auf wenige Ausnahmen der Einladung gefolgt. Zum ersten Mal war er allerdings nicht im Bellevue: „Ich war schon einmal mit Schülern im Schloss und früher jedes Jahr mit einer Schulklasse in Berlin. Weil man dort so viel lernen kann!“
Inzwischen sind wir im Obergeschoss des Hauses Hövener angelangt. Es gehört heute wie damals der Familie und ihrer Unternehmer- Geschichte: „In dieser Küche ist Wilhelmine Hövener gestorben. Hier, auf einem Sofa, ist sie einfach eingeschlafen. Hier sieht man, wie bescheiden sie gelebt hat, sie hat ihr Geld nicht für teure Möbel und anderes ausgegeben, sondern alles Vorhandene von ihren Eltern und Vorfahren weiter benutzt.“ Badewanne, Kühlschrank, Küchentisch, offene Ofenrohre – alles spiegelt Bescheidenheit wider. Direkt nebenan allerdings: ein Raum mit Gemälden voller illustrer Gäste, die einmal mehr von der Bedeutung dieses Hauses in Brilons Mitte zeugen.
Lernen, vor allem auch aus der Geschichte, das steht für Winfried Dickel ganz oben in seiner Lebensphilosophie. Er selbst hat erst eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann gemacht und später eine Sonder-Prüfung für Begabte an der Uni Paderborn abgelegt – quasi als Abitur. Er studierte Germanistik, Erdkunde und Politik. Die Leidenschaft für die Lehre gaben Dickels auch an Sohn und Tochter weiter. Beide haben Professuren inne, Tochter Mirka in Jena und Sohn Simon in Essen.
Winfried Dickel indes begnügte sich mit dem Lehramt und strebte lieber in eine andere Richtung: „Das Ehrenamt lief schon immer parallel.“ Das kann nicht anders sein, denn es ist bereits die 39. Briloner Chronik als umfangreiches Jahrbuch erschienen. Zudem hat Winfried Dickel zahlreiche Artikel zur Stadtgeschichte auf der Internetseite des Museums und in verschiedenen Broschüren veröffentlicht. Mehrere kurze Filme zur Kultur und Geschichte der Stadt und der Dörfer können auf YouTube abgerufen werden. Sie erreichten über 140.000 Interessierte.
Der Realschullehrer i.R. gehörte vor 33 Jahren zu den Gründungsmitgliedern des Briloner Heimatbundes und ist seit der Zeit in verschiedenen Funktionen ununterbrochen Mitglied des Vorstandes. Vor 22 Jahren wurde der Verein zur Stadterhaltung Semper Idem gegründet. Hier war Winfried Dickel von Beginn an der Vorsitzende. Unter seiner Leitung fusionierten im Jahre 2006 die beiden Heimatvereine zu dem Briloner Heimatbund Semper Idem e.V. Winfried Dickel ist seitdem der Vorsitzende. Unter seiner Leitung wurden mehrere Arbeitskreise eingerichtet, darunter der AK „Alte Schriften“, in dem Schriftstücke aller Art transkribiert werden.
Im Erdgeschoss des Museums, wo wir inzwischen angekommen sind, finden sich Hinweise zu alledem. „Wir haben Stadtgeschichte, Geologie, die Glockengießerkunst, eine historische Bibliothek, ein Panel für Wanderwege, unseren Saurier, Waldgeschichte, Kirchengeschichte“, erklärt Winfried Dickel, als wir im ersten Info-Raum des Museums stehen und anschließend rüber zum interaktiven Briloner Stadtmodell gehen. Ein Click auf den Bildschirm, schon taucht Messinghausen auf.
„Wir wollen Informationen für alle Bewohner aus der Stadt und den Dörfern geben, dank reger Mithilfe der dort Aktiven!“
Anfang 2013 übernahm er nach seiner Pensionierung den Vorsitz der Museumsstiftung und leitete bis auf eine kurze Unterbrechung das Museum Haus Hövener ehrenamtlich bis Anfang 2021. In der Zeit konnten die Besucherzahlen von rd. 6.000 auf über 12.000 gesteigert
werden. Im Jahre 2006 gehörte Winfried Dickel mit 40 anderen Personen, Firmen und Institutionen zu den Gründungsstiftern der Briloner Bürgerstiftung, die ihn zum Sprecher der Stiftergemeinschaft wählten. Das ursprüngliche Stiftungskapital konnte von 112.000 Euro von jetzt 117 Stiftern auf über 1 Million Euro aufgestockt werden. In den Jahren 2006 bis November 2022 wurden Projekte mit einer Gesamtsumme von über 283.000 Euro gefördert, zuletzt u.a. Fördermittel für die Ukraineflüchtlinge in Brilon in Höhe von 5.000 Euro bewilligt.
Auf ins Untergeschoss: Erst das devonische Meer, dort, wo heute Brilon liegt, dann die Saurier zwischen Farnen und Ginkgo-Bäumen. Wie Brilon vor Millionen von Jahren aussah, vom charakteristischen Kalkgestein und viel Wasser unter der Erde – davon zeugt eindrucksvoll der Keller des Hauses Hövener. Und von besonderen Bewohnern, deren Knochen in den 80ern bei Nehden gefunden wurden. Die Skelette von 14 Jung-Sauriern, die womöglich beim Spielen unachtsam waren und in ein Gesteinsloch stürzten. Ein Alleinstellungsmerkmal, wie Winfried Dickel stolz erzählt.
„Jetzt gerade haben wir Leader-Mittel beantragt, um die Saurierfundstelle aufzubereiten, damit sie interessanter für alle Besucher wird“, berichtet der 75-Jährige vom nächsten Projekt. Und er wird nicht müde zu ergänzen: „Das machen wir immer mit den Dörfern zusammen,
nie allein.“ Das schuldet er allein schon der Geschichte. Blei und Galmei fanden sich schließlich auf der gesamten Hochfläche.
Nur das Eisenerz, das wurde in Olsberg abgebaut und verhüttet. Allerdings von einer bekannten Briloner Unternehmerfamilie. Willkommen im Haus Hövener!